Aus dem Unterholz der Dummheit – Kapitel 10 (Teil 2)

Liebe Leserinnen und Leser,

für heute ohne jedes Vorneweg:

Einschub 2
Der Zeltplatz, auf dem ich gerade gelandet bin, „au beau milieu de finistère“, ist eine schwärmerische Überhöhung für „in the middle of nowhere“.
Wie ich an diesen Ort gekommen bin? Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Seit meiner Erfahrung mit „Le Bleu“ ist meine innere Kompassnadel lahmgelegt. Wie betäubt.
Ob ich diesen Zeltplatz jemals wiederfinden könnte? Nie und nimmer: Kreisverkehre über Kreisverkehre, Abzweigung nach Abzweigung, Straßen, die in keinem Straßenatlas verzeichnet waren, und dann noch die paralysierte Kompassnadel. Keine Chance.

Aber jetzt stehe ich hier. Für eine Gebühr von 21 Francs – 13 für mein Hab und Gut, mein noch jungfräuliches Iglu-Zelt und mich selbst, 8 für meinen tapferen Kadett C (Coupé!). Alles in allem: vertretbar! Der 600-Francs-Krater in meiner Ex-Pennäler-Börse sagt das auch. Der erste Rundblick in der bretonischen Walachei lässt mich innerlich schaudern: War das Wetter bis gerade eben – vor meiner Ankunft – nur kalt und bewölkt, bretonisch unauffällig, so drohen die eifelturmhohen Wolkengebilde jetzt mit einer wenig verheißungsvollen Verfärbung – von „Le Bleu“ nach „Les Noirs“.

„Vorboten einer unruhigen Nacht. Es dämmert.“

Immerhin kann ich mein Zelt noch flugs am äußersten Rand des sporadisch bewaldeten Platzes auf einem hübschen Grasfleckchen installieren. Meinen Kadett parke ich in Räubermanier daneben. Die Wolken kommen näher. Höchste Zeit für eine schnelle Inspektion der sanitären Anlagen. Auf dem weitläufigen Platz finde ich zwei Baracken mit Waschbecken, Toiletten und Duschen. Alles in einem vernünftigen Zustand.

„So weit, so gut.“

Verstohlene Blicke nach oben verheißen nichts Gutes. Meine Siebensachen sind schnell im Zelt verstaut. Die Nachbarn beiläufig begrüßt. Das Ehepaar mittleren Alters zu meiner Rechten stammt aus Deutschland. Sie sitzen jenseits meines Kadetts vor einem gut zweistöckigen Wohnmobil. Seelenruhig. Auf einer schon obszön gepolsterten Gartengarnitur. Die angeberisch-ausgerollte Markise versperrt die Aussicht nach oben.

„Denen wird ihre Gemütlichkeit gleich vergehen!“

Ein jüngeres Ehepaar von gegenüber – mit einem Säugling an der nackten Brust und dem halben Hausstand vor dem Familienzelt – kommt, dem Nummernschild nach zu urteilen, aus Dänemark.

„Wenn es gleich zu schütten anfängt, kommt da drüben Hektik auf. So viel ist sicher!“

Die drei halben Portionen, halbwüchsige und halbmännliche Jungtiere, zu meiner Linken, die rauchend und an ihren Alfa Romeo gelehnt vor einer auf dem Boden drapierten Zelthaut posieren, müssen Italiener sein. Diskutierend, rauchend, gestikulierend. Vierzehntagebärtige Burschen meines Alters. Ragazzis vom pomadigen Scheitel bis zur ungewaschen-barfüßigen Sohle.

„Die Jungs haben die Ruhe weg. Wenn die sich nicht tummeln, übernachten sie in ihrem Giulietta.“

Der auffrischende Wind treibt mich mit meiner ersten Urlaubsmahlzeit ins Zelt: mitgebrachte deutsche Wurst auf mitgebrachtem deutschem Brot.

„Vorzüglich und hierdrin ist es irgendwie gemütlich.“

Ohne jede Vorwarnung erleuchtet ein neongreller Blitz rabiat die anheimelnde Dämmerung um mich. Der letzte Bissen meiner Stulle bleibt mir im Hals stecken, und die beschauliche Zeltplatz-Idylle, gerade in meinem Herzen angekommen, muss (mit etwa 10-sekündiger Verspätung) der Arglist eines dumpfen Nachgrollens weichen.

„In Physik habe ich aufgepasst: Das Gewitter ist noch etwa dreieinhalb Kilometer entfernt.“

Die Zeltwände fangen wie auf Knopfdruck an zu flattern. Immer mehr und immer größere Regentropfen klatschen darauf. Mit sattem Aufprall verkünden sie das dräuende Unwetter.

„Vielleicht noch elf Grad.“

Die Atmosphären an den Nachbarzelten sind lupenreine Tiefdruckgebiete:

  • Von rechts, der deutschen Seite, eine handfeste Auseinandersetzung, wer das Vorzelt einkurbelt, wer die Gartengarnitur verstaut, wer an dem Sauwetter, an dem aufkommenden Regen und überhaupt an allem schuld sein könnte.

Ich: „Wundervoll!“
Ich: „Wer will denn da noch heiraten?“
Ich: „Was bin ich froh, dass wir allein sein dürfen.“
Ich: „Allein zu sein, wird von allen unterschätzt.“
Ich: „Von Ehepaaren auch.“

  • Von gegenüber, der dänischen Seite, ein atemlos schreiender Kindermund und operative Hektik.

Ich: „Noch wundervoller!“
Ich: „Kinder wollen wir jetzt auch keine mehr.“
Ich: „Auf jeden Fall keine, die schreien.“
Ich: „Kann man das abstellen?“

  • Von links, der italienischen Seite, eine lautstarke Diskussion.

Ich: „Worüber diskutieren die Jungs?“
Ich: „Über den Baufortschritt vielleicht.“
Ich: „Hast du die Unmenge an Zeltstangen gesehen?“
Ich: „Das soll ein Petersdom in der Bretagne werden.“
Ich: „Das sind italienische Jungarchitekten.“

Ich: „Für mich sind es die drei Pomaden für den Papst.

Mit dem Gedanken an den „Papstdringen zeitgleich Donner und Blitz in mein Refugium.

„Das Gewitter ist genau über uns.“

Das Gezerre und Gerupfe des tobenden Sturmwindes lässt mich erstarren. Das Pfeifen und das Johlen des grimmigen Windes lässt mich verstummen. Ich bin alleine hier.

„Ganz allein!“

Von fern dringen – über den lärmenden Wind und die wütend prasselnden Regentropfen hinweg – die Nachbarn aus allen Richtungen an mein Ohr:

  • das deutsche Gezänk gipfelt in einem Furcht einflößenden Aufschrei,

Ich: „Hat er sie jetzt erschlagen?“
Ich: „Quatsch! Hast Du das Knacken nicht gehört?“
Ich: „Du meinst, er hat ihr das Genick gebrochen?“
Ich: „Idiot! Sie lebt noch. Nur die Gartengarnitur ist weg.“
Ich: „Weggerissen?“

Ich: „Yeap!“
Ich: „Der Wohnmobilsegen hängt jetzt gewaltig schief.“
Ich: „Er dürfte seinen Weg aufs offene Meer gefunden haben.“
Ich: „Aus allen Angeln, Fugen und Heringen!“

  • die dänische Quarre,

Ich: „Wie lange kann so ein Kind schreien?“
Ich: „Keine Ahnung.“
Ich: „Stunden?“
Ich: „Länger!“

Ich: „Ohne zu atmen?“

  • und die drei gegelten Macholinos im brachialen Kampf ums Überleben.

Ich: „Die halten ihr Zelt fest.“
Ich: „Aussichtslos!“
Ich: „Die schreien lauter als das Kind.“
Ich: „Als ob das etwas bringen würde.“
Ich: „Ihr Leben hängt an einer Zelt-Nabel-Schnur.“

Zwischen all den Fetzen der Verzweiflung schreie ich mich selbst an:

Ich: „Sollen wir helfen?“
Ich: „Bist du irre?“
Ich: „Ob wir unsere Nachbarn lebend wiedersehen?“
Ich: „Die Frage ist, ob wir uns selbst wiedersehen.

Aus dröhnender Hektik wird kreischende Hysterie, aus dem Unwetter eine herzlose Monsterkapriole, ein bretonischer Zyklon.

 „Eine höchst widerliche Pracht, so viel ist sicher.“

Anmerkung:
Keine sechs Stunden ist es her, dass ich den französischen Staat mit dem Löwenanteil meiner Taschengeldersparnisse vor dem Bankrott bewahrt habe. Keine sechs Stunden seit ich lernen durfte, dass Recht und Gerechtigkeit nicht immer in derselben Mannschaft spielen.

 „Und jetzt das.“

Äolus, der römische Gott der Winde, der Erfinder von Starkböen und Windhosen, macht, was er will! Ich beginne, einen Dialog der Verzagtheit mit ihm. Liegend! Auf meiner Isomatte, in meinem Schlafsack.

Ich (laut): „Das macht mir gar nichts!“

Äolus: pfeift.

Ich (lauter): „Ich fühl‘ mich sauwohl, ich bin im Urlaub!“

Äolus: pfeift – durchdringend.

Ich (noch lauter): „Ich muss nicht schlafen. Ich les‘ ein bisschen!“

Äolus: pfeift – herausfordernd

Ich (großspuriger, als ich es mir selbst glaube): „Ich hab‘ keinen Stress!“

Äolus: pfeift – von der italienischen Seite!

Mir reicht es gewaltig!

Äolus: pfeift – mehr von der deutschen Seite!

Das Buch in meiner Hand ist eine schwache Finte. Ich lege es zur Seite. Lausche! Die Außenwände flattern wild.

Äolus: pfeift – angriffslustig von allen Seiten!

Ich (wieder lauter): „Meinst Du, Du kannst mir Angst machen?“

Äolus: pfeift – eine Oktave höher

Ich (schreie jetzt): „Ich hab‘ keine Angst!“

Äolus: pfeift – aus vollem Himmelsmund.

Von meinen Nachbarn höre ich nichts mehr. Nur noch das Kreischen des Windes füllt mein Zelt: unendlicher Himmelslärm um mich.

Ich (schreie lauter): „Ich werde jetzt schlafen, hörst Du?“

Äolus: pfeift – gellend! Reißt an meinem Zelt!

Ich (kreische jetzt): „Nimm Dir doch mein Zelt!“

Äolus: pfeift – lauter als ich kreische! Reißt stärker!

Ich (kreische lauter): „Reiß es doch in Stücke!“

Äolus: pfeift – als ob er mich verhöhnen würde!

Ich (brülle): „Wer braucht schon ein Zelt?“

Äolus: pfeift – ein gehässiges ein Pfeifkonzert!

Ich (brülle, brülle wie am Spieß): „Ich komme auch ohne klar.“

Plötzlich: Äolus ist still! Still für einen Moment.

Das Auge des Sturms!

Ich (ganz leise): „War das schon alles?“

Mit meiner letzten Silbe biegt eine zerstörerische Bö die rechte Zeltecke bis zu meinem Gesicht. Als hätte der Gott der Winde hundert Finger in seinem Himmelsmund, braust die ganze entsetzliche Macht bewegter Luft auf mich nieder und dann bricht er, der erste Glasfiberstab im Zeltgebälk. Das Knirschen gießt seinen unverhohlenen Spot über mich.

Es wird Zeit, dass wir in den Wagen flüchten!

Mit weichen Knien erhebe ich mich.

Äolus: pfeift – das Lied vom Tod.

Ich bin windelweich geweht. Sturmreif gepfiffen. Und jetzt sehe ich das Wasser kommen! Von unten! Durch den Eingang. Ins Zelt…

Anmerkung:
Aiolos, griechischer Amtskollege und Namensvetter von Äolus, war wenigstens mit der Göttin der Morgenröte Eos verheiratet.

„Der Glückliche!

Aber von dieser Tante ist hier – am französischen Arsch der Welt – absolut nichts zu hören! Typisch! Wenn’s mal brenzlig wird, findet sich von Weibern unter den Göttern wieder mal keine Spur. In den Erzählungen sind sie super.

„Schön! Verführerisch!

In der Realität sind sie Taugenichtse!

Ich: „Gibt es keine weibliche Form?“
Ich: „Die Taugenichtsin?“
Ich: „So was in der Art.“
Ich: „Gleichberechtigung kennt nur eine Richtung.“
Ich: „Lass das bloß niemanden hören.“
Ich: „Bei diesem Sturm hört uns sowieso keiner zu.“

Wenn es neben Äolus überhaupt etwas von der Götter-Mischpoke zu hören gibt, dann von Zephyros (wieder ein Kerl!), einer der pubertierenden Stiefsöhne von Aiolos. Und man höre und staune, er ist der Gott aller Westwinde.

„Genau! Davon gibt es in der Bretagne reichlich.

Direkt von den äolischen (!) Inseln. Jede Menge Tiefausläufer!

Es ist Zeit zu handeln:
Den noch nicht ausgepackten Rucksack über der rechten Schulter, den Schlafsack, mein Buch und meine Isomatte unter dem linken Arm, meine Badelatschen an den Füßen und den Autoschlüssel in der rechten Hand. So stehe ich am Ausgang meines einstürzenden Iglus. In Unterhose und T-Shirt! Es ist stockfinster.

„Vielleicht noch sieben Grad!

Der sehr kurze Plan: Zelt öffnen! Ein Drei-Meter-Hecht nach rechts zum Kadett. Durch die schwärzeste Nacht seit der Erfindung der Mondfinsternis. Durch eine geöffnete Himmelsschleuse. Alles auf Verdacht! Autotür auf! Zeug rein! „Einspringen!“ Autotür zu!

So weit der Plan…

Götter müssen Pläne hassen, in denen sie keine Rolle spielen. Sie durchkreuzen sie. Zuerst klemmt der Reißverschluss.

„Ich könnte kotzen!

Heftiges Anreißen am Schlitten. Mehrmals! Bis die Naht daneben reißt.

„Was soll’s!

Querregen erwartet mich vor der Tür. Garstig schießt er vor mir vorbei. Außer dem Regen sehe ich nichts.

„Scheißegal! Ich springe.

Wegen der Wucht eines Windstoßes verfehle ich mein Ziel um gut zwei Meter. Ich lande auf der Motorhaube. Zur Fahrertür arbeite ich mich auf allen Vieren vor. Durch den Schlamm. Von unten öffne ich. Halb liegend. Die nächste Bö reißt mir die Autotür aus der Hand! Ein Reflex, sie zu stoppen, löst meinen linken Oberarm vom Körper und das Gelenk aus der dazugehörigen Kapsel. Die Klemmwirkung für meine Habseligkeiten ist weg. Der stechende Schmerz in der Schulter paart sich mit dem Schrecken, als mein Schlafsack den Zeltplatzzaun überquert. Die Isomatte keilt sich in das Türscharnier. Das „Glasperlenspiel“ von Hesse landet unterm Rad.

„Immerhin!

Ich (stöhne): „Scheiße!“

Schlimmer kann es nicht mehr werden.

Mit letzter Kraft stemme mich mit dem Kopf und der rechten Hand gegen die B-Säule, ziehe ich mich auf den Fahrersitz, die Isomatte aus dem Türspalt zur A-Säule und schicke Äolus noch ein letztes Wort größtmöglicher Feindseligkeit. Dann kracht die Autotür mit einem lauten Knall ins Schloss. Äolus ist wie abgeschnitten. Ich triefe. Das Wasser sickert in meinem Sitz. Ich streife die Badelatschen ab. Sie sind mir geblieben. Zeit für eine innere Standortbestimmung:

Ich: „Schlimmer kann es nicht mehr werden. Pah!“
Ich: „Es kann immer schlimmer werden.“
Ich: „Ich frage mich, wer diese Scheiße verzapft hat.“
Ich: „Unsere letzte Möglichkeit, billig Urlaub zu machen, wurde gerade vom Winde verweht.“
Ich: „Ich weiß.“

Durch das Seitenfenster sehe ich in Umrissen zwischen den fliegenden Wolkenmassen die bedauernswerten Überreste von etwas, was einmal mein Zelt war. Ein schauriges Bild!

Ich: „Unser Zelt ist im ewigen Zelthimmel.“
Ich: „Ich weiß.“
Ich: „Wir haben jetzt ein eigenes Himmelszelt.“
Ich: „Sehr lustig!“
Ich: „Der Schlafsack ist auch futsch.“
Ich: „Ich weiß.“

Während ich meine schmerzende Schulter massiere, schalte ich aus reiner Neugier das Abblendlicht ein. Die dänische Mutter sitzt mir gegenüber. Jenseits des Fahrwegs. In ihrem Volvo. Sie hebt geblendet die Hände vor die Augen. Das Kind auf dem Arm. Sie stillt noch immer. Knapp neben dem Volvo erspähe ich den dänischen Vater. Er ringt mit der Camping-Ausrüstung: Tisch, Stühle, Sonnenschirm! Bretonisch-römisch! Er schreit! Er zerrt! Alles scheint verloren. Land unter…

„Der Arme!

Ich: „Du willst doch jetzt nicht aussteigen.“
Ich: „Was denn sonst?“
Ich: „Hast du noch alle Nüsse im Beutel?“
Ich: „Wir tun es für das Kind.“
Ich: „Den Italienern haben wir auch nicht geholfen.“
Ich: „Die waren zu dritt.“
Ich: „Wir haben den französischen Staat gerettet.“
Ich: „Hier braucht jemand unsere Hilfe.“
Ich: „Wir haben ‚Le Bleu‘ am Leben gelassen.“
Ich: „Jemand braucht Hilfe.“
Ich: „Hör auf zu spinnen!“
Ich: „Dringend!“

Ich öffne die Autotür. Ein übermächtiger Windstoß reißt sie fast aus den ächzenden Scharnieren. Ich stürze über den Fahrweg auf die dänische Seite. Ohne Badelatschen, in T-Shirt und Unterhose. Die Schulter brennt. Das Licht habe ich zum Glück angelassen. Der Däne und ich können uns kaum auf den Beinen halten. Gemeinsam stopfen wir alles, was noch zu retten ist, in den Volvo. Ein Kombi! Von hinten! Ein Blick der Dankbarkeit streift mich als ich die Reste des dänischen Zeltrats aufsammle. Nass bis auf die Knochen schließen wir die Volvo-Heckklappe. Ich höre ein gekreischtes „Tak!“ und stürze zu meinem Wagen zurück. Meine Schulter habe ich zwischenzeitlich vergessen.

„Fühlt sich an, wie wieder eingerenkt.

Als sich meine Autotür erneut schließt, blinkt die Volvo-Lichthupe zweimal auf:

„Tak, Tak!“

Auf dem Urlaubskalender steht heute Nacht unangekündigt und ungeplant ein Orkan. Mit ergiebigem Landregen, einem Schlafsacktot und einer Zelthavarie. Nichts, was ich mir erbeten hatte.

Ich: „Lass uns schlafen.“
Ich: „Meinst du das klappt?“
Ich: „Wir werden es nur herausfinden, wenn wir es versuchen.“

Mit geschlossenen Augen spürt man Bewegungen besser.

„Mir wird speiübel!

Der Wind spielt mit meinem tapferen Kadett, als hingen wir an einem Mobilé. Mal links, mal rechts, dann wieder links, dann wieder rechts.

Ich: „Hier willst du schlafen?“
Ich: „War ja nur so eine Idee.“
Ich: „Vergiss es!“

„Gut, dass wir nicht viel gegessen haben.

Wann ich eingeschlafen bin, kann ich nicht sagen, aber was ich noch gedacht habe, weiß ich genau:

Schlimmer kann es nicht mehr werden.

Da kracht mein Campingstuhl gegen meinen rechten Kotflügel.

Ich: „Von wegen!
Ich: „Was macht unser Stuhl da draußen?“
Ich: „Haben wir vergessen.
Ich: „Das Meer ist nicht weit.“

Als meine Sinne endgültig schwinden, und ich in das unsanfte Reich des Wankens und Rüttelns gleite, höre ich nur noch Äolus, der höhnisch singt und spöttisch lacht.

„Er hat uns besiegt.

Nur wenige Minuten nachdem es hell wird, schlage ich die Augen auf. Eingerostet. Durstig. Halbkomatös. Erinnerungsfetzen kommen in mein Bewusstsein. Katastrophe. Aus den rechten Augenwinkeln erspähe ich durch die beschlagenen Scheiben das deutsche Ehepaar. Sie leben noch. Scheinen gesund. In einem Stück. Stehen dort, wo die Gartengarnitur war. Sie hat das letzte Sitzpolster an die Brust gepresst. Vorsichtig öffne ich die Fahrertür.

„Man kann ja nie wissen.“

Ganz langsam strecke ich Stück für Stück meines Körpers nach draußen. Als würde ich mich auseinanderfalten. Ein Kampf, der Minuten dauert. Die Schulter tut ihren Dienst.

„Na also!

Als ich endlich im Freien stehe, sehe ich auch die drei Italiener. Sie sitzen dort, wo sie ihr Zelt ausgebreitet hatten. Vom Zelt selbst keine Spur. Zeltstangen Fehlanzeige. Sie sehen aus, als hätte Äolus sie in ihrem Giulietta vergewaltigt. Mehrmals.

„Dolce Vita geht aber anders, meine Lieben!

Gegenüber die Dänen! Sie stehen inmitten von Zeltüberresten und entlaubten Bäumen. Ein Bild zum Erbarmen.

„Äolus hat ganze Arbeit geleistet.

Plötzlich kommen sie über die Zufahrtsstraße auf mich zu. Sie lächeln. Selbst der kleine Wurm hat aufgehört zu schreien. Der Vater reicht mir wortlos eine Flasche Wein. Ich mache zuerst eine abwehrende Geste, aber eine Ablehnung kommt nicht in Frage. Ihre Blicke dulden keinen Widerspruch.

Ich: „Tak!“

Ende zweiter Einschub!

Und der der dritte folgt alsbald!

Alles Liebe und schöne Woche
Euer Paul

4 Kommentare zu „Aus dem Unterholz der Dummheit – Kapitel 10 (Teil 2)

  1. Oh man … was für ein Erlebnis … ich weiss schon warum ich nicht campe .. lach … mir kam förmlich der Sturm aus dem PC entgegen … toll beschrieben … aber ich bin zum Glück trocken geblieben … und du scheinst es ja auch überlebt zu haben … ich freue mich auf weitere Geschichten .. Liebe Grüße Claudia

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    1. Liebe Claudia,

      der Sturm war greifabr, hatte einen Körper, war spürbar, war realer als
      alles, was ich bis dahin erlebt hatte.

      Schön aber, dass Du es wenigstens in Ansätzen am eigenen Leib erfahren
      konntest; ich es also mit meinen mageren Worten zu Dir in den Computer
      „schaufeln“ konnte.

      Und schön auch, dass wir so einfach den Beweis führen können, dass un-
      sere Phantasie das Beste ist, was wir haben.

      Als Menschen mit Geist sind wir der Schöpfung sehr nahe, als Menschen
      ohne Geist sind wir von unserem wahren Kern entkoppelt und liegen brach.

      Ich komme bald wieder und belebe Dich aufs Neue!
      Versprochen!

      Dein Paul

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  2. Zuerst die gute Nachricht. Solltest du jemals vor haben für einen Wetterkanal die Texte zu schreiben, eine grandiose Karriere wäre dir sicher, denn niemand würde deine Prognosen verpassen wollen, selbst im Urlaub auf Sri Lanka. Auch ich habe so meine Erfahrung mit Stürmen die einen über den Boden schleifen, als ob man an einer Schnur gezogen würde und sich dabei fühlt wie diese kleine bunte Holzente die mit lederbesetzten Rollen platschende Geräusche auf den Boden zaubert. Doch anders als die meisten anderen Wetteropfer genieße ich den Wettstreit mit den Elementen (zuerst mit 7 Jahren), denn nichts ist wirklicher als die Natur. Dies bedeutet gleichzeitig auch die schlechte Nachricht. Ich bin bei jedem Wetter gut gelaunt und deshalb bei wetterfühligen Menschen ein echter Albtraum an Frohsinn. Ich freue mich barbarisch auf den nächsten Einschub lieber Paul 😉

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    1. Lieber Arno,

      ein bisschen Seelenverwandtschaft scheint zwischen uns schon zu existieren,
      denn ob gute oder schlechte Nachrichten, aus Deiner Feder lesen sich die
      Kommentare auf meiner Seite wie von selbst und immer in der Grundstimmung
      des Wohlmeinens und Wohlbefindens.

      Großartig.

      Seit der damaligen Erfahrung kann mich auch so leicht nichts mehr umhauen,
      denn bei meinem Körpergewicht hatte ich keinem Wind der Welt zugetraut,
      mich ernsthaft in Schieflage oder gar Verlegenheit bringen zu können.

      Wie man sich doch täuschen kann.

      Behalte Dir Deinen Frohsinn und alles, was er für Dich bereithält und
      rufe den anderen zu, dass sie immer eine Wahl haben, zum Beispiel die
      Dinge so zu sehen, wie Du es tust.

      Ich liebe es!
      Danke. Dein Paul

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